Direkt zum Hauptbereich

Musik

Enthüllung über Guantanamo: Häftlinge wurden mit Sesamstraßen-Melodie gefoltert...


Ja, ich habe angesichts dieser Meldung nur müde gelächelt. 

Ich habe  ein eigenes Guantanamo jeden Tag. Musik läuft bei uns ununterbrochen. 
Wenn Lydia aufwacht, verlangt sie nachdrücklich nach Musik mit der Musikgebärde. Wenn im Wohnzimmer die Anlage nicht eingeschaltet ist, gibt es Geschrei. Wenn sie von der Tagespflege kommt, geht es sofort zu der Anlage (notfalls muss den Eltern klar gemacht werden, dass man Musik erwartet). Und wehe eine CD geht zu Ende! Anfangs habe ich gedacht, sie schreit so, weil sie sich weh getan hat. Sie kann stundenlang vor der Anlage sitzen und mitsingen! In beiden Sprachen werden vor allem die letzten Silben mitgesungen, und sie trifft die Töne nicht!!
Gehört werden mit Vorliebe Kinder-CDs, also Kinderlieder von Kindern gesungen, Erwachsene gehen auch, ganz besonders, wenn sie Rolf Zuckowski heißen. 



Das Blöde ist dabei, dass ich selbst fast gar keine Musik höre mit Ausnahme von sehr wenigen eigenartigen (sogar für mich selbst) Vorlieben. Ganz schlimm sind die nachbarocke Klassik und Opern (Bach gut!). Ich wähnte mich lange in Gesellschaft von affenartigen Kulturbanausen, bis ich irgendwann auf eine Stelle aus der Biographie von Nabokov stieß, bei der ich lachte und die ich immer noch so wörtlich unterschreiben könnte: 



"An dieser Stelle muss ich sagen, dass meine Eltern beide das absolute Gehör hatten; aber leider ist und bleibt für mich Musik nur eine willkürliche Anhäufung barbarischer Töne. In dieser meiner Armut kann ich eine zigeunerhafte Violine verstehen und hinnehmen oder irgendein feuchtes Harfengekimper in der "Bohème" und sonstige spanische Krämpfe und Gebimmel, - aber das Konzertpiano mit Rockschößen und ausnahmslos alle Bläserrüssel und -Anakonden rufen in mir in kleinen Dosierungen Langeweile, in großen die Entblößung aller Nerven und sogar Durchfall hervor." (V. Nabokov: Andere Ufer, übersetzt von mir mit großer Leidenschaft). 

Jetzt gehe ich ins Bett und wache jeden Morgen auf mit einem Ohrwurm. Heute war es das Lied "Die Räder vom Bus die rolln dahin".  Ein Gefühl wie in einem Horrorfilm oder auf Guantanamo.

Kommentare

Muschelsucher hat gesagt…
... ich glaube Heerscharen von Eltern möchten Benjamin Blümchen einen Knoten in den Rüssel machen.

Aber ich habe festgestellt, daß BB oder Rolf Zuckowski sind Gold gegen pupertäres Rumgezicke im Auto.

Vielleicht könnte ich meine Kinder als Foltermethode verkaufen. Auf Dauer kann das keiner ertragen.

Liebe Grüße
D hat gesagt…
Oh, ja, als "Beschäftigungstherapie" sind die CDs klasse! Erst gestern setzte ich ein todmüdes Kind ins Auto, schaltete Musik ein, Lydia schrie freudig auf und sang ca. 45 Minuten mit! :)

Beliebte Posts aus diesem Blog

Es gibt kaum etwas Schöneres als den deutschen Frühling! Wir genießen die erste Wärme (hoffentlich haben wir bald mehr davon). Dieser Platz hier leidet etwas, aber sehr viel gibt es nicht zu berichten: Meist hat man das Gefühl, das Kind verändert sich gar nicht - und zack: Steht sie vor einem und plötzlich hat man das Gefühl, sie ist ganz anders. Die Kommunikation klappt immer besser, auch wenn man nichts darauf geben sollte, was Lydia über ihr Erlebnisse berichtet. Meistens stimmt das gar nicht. Bis vor kurzem war ihre Standardantwort auf die Frage: "Was hast du denn im Kindergarten gemacht?" - "Runterfallen weinen." Dabei hieß das lange nicht, dass sie oder überhaupt jemand runtergefallen oder geweint hatte. Durch Zufall kriegt man auch immer wieder mit, was sie im Kindergarten alles selbst macht, und muss mitansehen, wie sie sich zuhause ärgert, dass man dahintergekommen ist. Jetzt muss sich die Arme selbst die Schuhe ausziehen, und jedesmal gibt es eine klei...
Lydchen im November 2013

Blütenbomben

Als Mutter/Vater eines schwerbehinderten Kindes ist man sicherlich viel empfindlicher, dünnhäutiger, ja paranoider in Bezug auf Äußerungen Dritter. Ich befürchte auch, dass nach diesem Post viele mich eher stumm angucken werden, um ja nichts Falsches zu sagen. Aber auch diese Gefahr nehme ich billigend in Kauf, nur um endlich das hier aufzuschreiben. Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich muss es vor allem aufschreiben, weil es so witzig ist. Misslungene Formulierungen nennt man bekanntlich Stilblüten. Eltern behinderter Kinder hören des öfteren Sätze, die sie sprachlos, wütend, weinend, lachend, kichernd machen. So etwas nenne ich immer "Blütenbomben". Die meisten von den Bomben sind gut gemeint, hinterlassen aber beim Hörer so ein Gesicht:  Meine persönliche Ausbeute ist ziemlich mager. Da ist z. B. eine Physiotherapeutin von mir - nach einer halben Stunde Unterhaltung über Lydias Geburt und Entwicklung fragt sie mich: "Aber Sie verstecken sie doch nicht, oder?...